„Greatest Hits“ wurde im Jahr 2005 eine Ausstellung mit Arbeiten des Künstlers Tom Grimm betitelt: Mit diesem Thema verbindet man gemeinhin eine Retrospektive eines in die Jahre gekommenen Künstlers, der seine Verkaufsschlager noch einmal präsentieren will. In die Jahre gekommen ist Tom Grimm sicherlich noch nicht, aber der 36-Jährige hat in den vergangenen 15 Jahren an rund 50 Ausstellungen teilgenommen und dementsprechend viel gearbeitet. Und deswegen ist es nicht vermessen, wenn man quasi noch in der ersten Lebenshälfte mit seinen „Greatest Hits“ oder „Perlen“, wie sie der Künstler selbst bezeichnet, aufwartet. Aber so wie der Ausstellungstitel durchaus seine Berechtigung hat - es sind durchaus viele Auflagenobjekte mit Wiedererkennungseffekt zu sehen – so birgt doch das Motto einiges an Doppeldeutigkeit und Hintersinn, denen auch viele der neueren Werke zu eigen ist. Ob nun ältere Kästen oder ganz aktuelle Lichtarbeiten, die Exponate regen den Betrachter stets und immer wieder auf`s Neue zum Nachdenken an. „Vorgeschriebene Denkrichtung“, „Wohn Haft“, „Kratzen und Wachsen“, „Konzept Eismeer“, „Briefe an gestern“ oder „Erdlinge bestaunen das Licht“: die Titel der Objekte des Rottweiler Künstlers sprechen Bände. Der konzeptuelle Gedanke spielt in den rund 60 Arbeiten eine überaus große Rolle, genauso aber auch wie die Dinge an und für sich. Der Künstler stellt seine ganz individuelle Bildwelt vor und liefert gleichzeitig eine mögliche Form von allgemeingültigem Weltbild. Den Besucher erwartet ein facettenreiches Panoptikum, im besten Sinne des Wortes. Denn wenn es sich bei den Objektbestandteilen nicht um Fundstücke oder um leicht modifizierte ready-mades handelt, dann sind die Bildelemente tatsächlich aus Wachs geformt und gegossen. Das Wachsfigurenkabinett erzählt in dem abwechslungsreichen Zusammenspiel mit Fahrplänen, Reagenzgläsern, Mullbinden, Bleibriefen, gemahlenen Buchseiten, Salz- und Pfefferstreuern, zerknautschten Bierdosen und anderen Utensilien eine unendliche Geschichte. Berichtet wird in scheinbar spielerischer Leichtigkeit von den Unwägbarkeiten des Alltags, es werden gewichtige Metall-Briefe an gestern versandt, Zukunftsvisionen in Wachs formuliert. Der künstlerische Blick richtet sich auf alle Formen des Seins, lotet mit sensiblen Gespür gesellschaftliche Verhältnisse aus, dringt messerscharf tief in die Tiefe der menschlichen Psyche. Der Künstler freilich gibt mit seinen Arbeiten keine konkreten Lösungen, so treffend genau die Kästen und Objekte auch betitelt sind. Er möchte mit seinen meist in Kästen geformten Szenarien und den vermeintlich einfachen Wortspielereien möglichst viele Ebenen schaffen und einen Prozess auslösen. Und so entstehen die Alltagsszenen, so sehr sie auch aus der Biografie des Künstlers entstammen, letztlich immer im Kopf des Betrachters, der je nach Sichtweise, Emotionslage und Erfahrungshorizont die Kette der Eindrücke zu stets neuen Konstellationen zusammen bauen kann. Aber Vorsicht vor allzu schnellen Deutungen. Der bekannte Kunstkritiker Manfred de la Motte, der einer der ersten Förderer des Künstlers war, hat es in einem Katalogbeitrag einmal so formuliert: „Man sieht und versteht alles – aber es bleibt ein zwinkernder Rest: schwankende Klarheit über Selbstverständlichkeiten - und stabiles Staunen über vorerst wacklige Unklarheiten“.
Stefan Simon, 2005
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