"Zufall und Zweifel, meine zwei guten Freunde": Seit über vier Jahrzehnten sind sie die treuen Weggefährten des in Königsfeld im Schwarzwald lebenden Künstlers Jochen Winckler und nichts deutet zumindest aus Betrachtersicht auf diesen immer wieder kehrenden und für den Künstler offenbar äußerst wichtigen Tagebucheintrag und gelegentlichem Bildelement hin. Denn wo bitte soll in dem facettenreichen Figurenkabinett Platz und Raum für zufällige Entscheidungen oder gar für skeptische Infragestellung des Geschaffenen sein? So vielgestaltig die Arbeiten auch erscheinen, so kalkuliert und ausgetüftelt wirkt die ästhetische Form. Jedes noch so kleine Detail, jedes Fundstück, ob Knochen, Federn, Keramikscherben oder Edelstein, sogar der Verlauf der Rostpatina scheint exakt eingeplant zu sein. Ob lebensgroße vollplastische Figuren, aufwändig arrangierte Kästen oder kleine handliche Blätter aus Papier oder Metallgewebe, ob reich bebildert, gestisch untermalt oder nüchtern auf´s Wesentliche reduziert: die stilsicheren Arbeiten wirken stets formvollendet. Das perfekte Erscheinungsbild findet seine Entsprechung in der technischen Umsetzung. Auch hier vorerst keine Spur von Zweifel und Zufall. "Fast 600 Stunden Arbeit: wenn aus 2 mm Messingstangen lebensgroße Figuren werden": die Tagebuchnotiz verrät zweierlei. Zum einen steckt in den Werken wirklich viel Arbeit drin, zum anderen führt der Künstler wie ein Handwerker akribisch Buch über das Geleistete. Tatsächlich sieht sich der 1938 in Breslau geborene, an der Stuttgarter Kunstakademie ausgebildete und seit 1965 in Königsfeld tätige Künstler in der Rolle des Handwerkers. Die handwerklichen Fähigkeiten mit dem von Winckler selbst beschriebenem Handwerkszeug, "den zwei bis drei Zangen, dem Lötkolben und den zwei Händen", hergestellten Arbeiten sind überzeugend ersichtlich, das protokollierte Arbeitspensum enorm, die Zuverlässigkeit und die so gar nicht ins Künstlerklischee passende Selbstdisziplin beeindruckend. Urlaub ist für Winckler ein Fremdwort. Was das für eine Auswirkung auf sein Schaffen hat, lässt sich aus dem Tagebucheintrag vom 13. 12. 1987 erkennen: "Wenn ich mehr nach draußen ginge, reisen würde, würde ich noch mehr gute Sachen, Kunst sehen und vielleicht noch mehr an meinem Tun und Arbeiten (ver)-zweifeln." Stattdessen bleibt der Künstler in seinem Atelier und arbeitet äußerst konzentriert von früh morgens bis spät in die Nacht. Das Tagebuch bringt wie so oft den Beweis: "5 Uhr 59 ist eine gute Zeit den Tag zu beginnen - die Nacht zu beenden." Die Besessenheit und Perfektion mit denen Jochen Winckler an einem Thema dranbleibt ist aber nur eine Seite des prinzipientreuen Homo faber, dessen Markenzeichen oder besser Visitenkarte das oft thematisierte Symbol der Hand wird. Auf der anderen Seite kommt der Homo ludens und mit ihm das künstlerische Genie mit ins Spiel. "Feminine Form und Symmetrie sind Ausgangspunkt und Antriebskraft meiner Arbeit": die Gültigkeit dieses Zitat aus dem aktuellsten Katalog lässt sich an den großen wandfüllenden Messinggeweben, an den Holz-, Draht- und geschmiedeten Metallfiguren, den frühen Holzkästen mit dem geheimnisvollen Innenleben und an den winzigen Reisekästchen überprüfen. Dieses werkimmanente Thema bilder den roten Faden bei einem Rundgang entlang der Arbeiten aus allen Schaffensperioden, der in einen repräsentativen Ein- und Überblick in "40 Jahre Arbeit" von Jochen Winckler gibt. Vielleicht könnte man hier am ehesten, wenn man denn unbedingt will, dem Wegegespann "Zufall und Zweifel" begegnen. Jedes einzelne Exponat wirkt, auch ohne den Inhalt der Tagebücher zu kennen, wie eine Hommage an die Schönheit des Weiblichen, zugleich offenbart das Schaffen ein stetes Ringen mit der magischen Rätselhaftigkeit des Weiblichen. Das begehrte, das verehrte, das unbekannte Wesen wird in romantischer Weise idealisiert, es erscheint prähistorisch übermächtig, es wird auf den Thron gehoben und findet Einlass in den Tempel wie in den starken Kästen. Im Wechselspiel von Transparenz und Stabilität erscheint das Feminine mal in der Totalen, mal als Kopfform und zuweilen nur als markantes Geschlechtsmerkmal, nie provokant, stets abwägend in zartem Einklang von Material und Form, indem das Geometrische und das Organische spielerisch, harmonisch miteinander verbunden werden.
Stefan Simon, 2005
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