„morgen ist auch ein Tag“: Wie er wird, wird sich zeigen. Jo Winter gibt mit seiner gleichnamigen Installation ein breites Spektrum möglicher Denkrichtungen vor. Die unterschiedlichen Lesarten hängen vom Aufbau der variablen Arbeit sowie von dem Erfahrungshorizont des Betrachters ab. Bei entsprechender serieller Anordnung könnte man einen archaischen Strichcode erkennen, dessen Versuch der Entschlüsselung stets neue Fragen aufwirft. Bedrohlich, spitz, nach unten hängend suggerieren die Skulpturen aber auch Granatabwürfe. Dreht man die Teile um, wird jedoch aus den feuergeschwärzten Gebilden wieder etwas ganz Anderes. Phoenix aus der Asche gleich entsteht neues Leben. Den Assoziationen sind keine Grenzen gesetzt. Die vermeintlichen „Sprengköpfe“ docken synaptisch an ihre Gegenstücke an und entwickeln neue dynamische Strukturen. So funktioniert das eben im großen Weltenlauf wie gleichsam zwischen den Polen der alltäglichen Begebenheiten. Natur kann faszinierend und zugleich erbarmungslos sein, den zivilisatorischen Machenschaften der Menschheit ebenbürtig. Der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen kommt nicht ohne Ambivalenzen aus. Jo Winter zeigt sie in seinen Skulpturen und Zeichnungen auf. Die artifiziellen Vegetationen, die aus den ursprünglichen natürlichen Vegetationsformen und den realen, vom Menschen geprägten, entspringen, sind mal irritierend, mal harmonisch, mal spannungsreich, aber immer auffordernd zur Auseinandersetzung. Gelangt der Künstler bei den Zeichnungen auf bedruckten Papieren durch getuschte Notizen zur inneren Befindlichkeit und somit zum aufbrechenden Kern, so legt er diesen mit der Kettensäge frei, indem er den Holzblock wie bei der„Federkrone“ und den „Knospenringen“ im wahrsten Sinne des Wortes aufbricht. Wenn man diesen sensiblen, vielschichtigen bildnerischen Reflexionen gerecht werden will, muss man genau hin schauen, sich einsehen in die Symbolwelt. Wie es morgen wirklich wird? Es bleibt nach wie vor alles offen. Eine der möglichen Antworten findet man in den großformatigen „Knospen-Zeichnungen“ auf alten Konstruktionsplänen aus dem Bestand einer Maschinenbaufabrik. Den zarten technoiden Formen auf dem Transparentpapier begegnet Winter mit schlichten Formen aus der Natur, die wiederum mit den organischen Details der Skulpturen korrespondieren. Die sich öffnenden Knospen als Sinnbild für Wandel und Leben schlechthin weisen den weiteren Weg zur Entdeckung der künstlerischen Vegetationen.
Stefan Simon, Katalog Vegetationen, Museum Biedermann, 2011
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