Text Hermann Simon

In tiefen Furchen gräbt sich die Individualität jeden Holzes in die Schnitte von Hermann Simon, gerinnt jedes Werk zum Zeugnis der Inspiration durch die jeweilige Holzmaserung: Der Marbacher Künstler ist ein Beobachter, ein exzellenter Techniker. Er erahnt die Gegenständlichkeit, die sein Material ihm bietet. Fast zehn Jahre nach seinem Tod zeigt das Stadtmuseum Hüfingen für Kunst und Geschichte die erste größere Schau auf sein Oeuvre mit einer Sonderausstellung von 60 seiner beinahe 2000 Holzschnitte.

Die Räumlichkeiten im Obergeschoss des Museums gleichen dabei einem Raritätenkabinett aus fünf Motivkammern, gehen mit dem Schwarz-Weiß der Schnitte eine intime Verbindung ein. Zentrales Thema ist der Mensch in seinen verschiedenen Aktivitäts- und Emotionsfacetten, aber auch Tiere spielen bei Simon, dem Natur- und Tierfreund, eine herausragende Rolle. So ist denn auch ein ganzer Raum der Motivgruppe Vögel, insbesondere den Krähen, vorbehalten.

In einer von Malerei und Skulpturen dominierten Kunstlandschaft führen Holzschnitte ein Eremitendasein und bahnen sich allein deshalb schon einen Weg zur Öffentlichkeitswirkung. Doch die Holzschnitte von Hermann Simon offenbaren in ihrer außergewöhnlichen Qualität erst die technische Vielfalt, den künstlerischen Gestaltungsspielraum und ein perfektes Wechselspiel zwischen Holzmaserung und Bilderzählung.

Jedes Exponat besticht durch eine andere Technik mit Messer, Geißfuß und Kehleisen, bildet eine andere Flächigkeit und Dynamik ab. Mit akribischer, perfektionistischer Sauberkeit ist jeder Schnitt platziert, immer in Rücksichtnahme auf die Struktur und Linienführung des Holzes. Mit bloßen Querschnitten erzeugt er in ihrer Anordnung eine mitreißende Dynamik, schafft Tiefenwirkung allein durch die verschiedenen Schnitttechniken, lässt der Maserung aber stets den Vortritt, sich als Leitstruktur zu präsentieren.

Sozialkritisch ohne Zeigefinger, bisweilen plakativ, doch nicht ohne Leichtigkeit erzählen die Schnitte Zeittypisches, bilden Momentaufnahmen, porträtieren und dokumentieren die in der Schwarz-Weiß-Typik der Holzschnitte implementierte Dualität zwischen Sieg und Niederlage, Schaubühne und Hintergrund.

Drei großformatige Werke stechen aus der Sonderausstellung des Rössing-Schülers heraus: Die als Bilderzählung konzipierten Holzschnitte "Die Tagesschau" (1978), "Der alte Baum" (1985) und "Klassentreffen" (1978): Sie dokumentieren den wochenlangen, kräftezehrenden Prozess des auf den Rollstuhl angewiesenen Künstlers. Gleichzeitig illustrieren sie die Geschicklichkeit und das Gespür Simons, Form und Inhalt miteinander korrespondieren zu lassen.

Mit seinem umfangreichen und beeindruckendem Schaffen, zu dem auch mehrere Tausend Aquarelle und Tonplastiken zählen, hat sich das einstige Mitglied der Donaueschinger Künstlergilde einen festen Platz in der Kunstgeschichte des Landkreises erworben, wie auch Professor Friedemann Maurer anlässlich der Retrospektive zum Werk Simons 1997 formulierte. Dabei ist der 1920 in Marbach geborene Künstler eher ein Spätberufener, begann 1951 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bei den Professoren Gollwitzer, Meid und Rössing sein Studium, wobei Letzterer ihm die Holzschnitt-Technik in einer für ihn schließlich werkbestimmenden Weise nahe brachte.

Dorothea Schwarz, Südkurier 9.4.2005