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Almanach 2003 “Kunst und Künstler”: Franz Späth
Die Kunst ist so vielfältig wie das Leben selbst: trotz aller vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten und Abwägbarkeiten unberechenbar und immer für eine Überraschung gut. Rückblick: 1986 formierte sich in Bräunlingen eine Aktion gegen eine Umgehungsstraße. Organisator der Aktion „Künstler für die Umwelt“ war der in Bräunlingen geborene und nun in Paris lebende Künstler Franz Späth. 15 Jahre später, die Umgehungsstraße ist mittlerweile realisiert, wird an der Ortseinfahrt aus Richtung Hüfingen eine sechs Meter hohe Skulptur enthüllt. Die Arbeit mit dem Titel „Dionysos“ ist modern, abstrakt, groß, mit Fernwirkung. Aber das wirklich Überraschende an dem neuesten Dokument von Kunst im öffentlichen Raum im Landkreis ist die Tatsache, dass die gelungene Großskulptur aus Stahl ein Projekt des Künstlers Franz Späth ist. Das mutet vorerst konträr an, aber ist zugleich Sinnbild für die Entwicklung und das Kunstschaffen von Franz Späth. Wahrlich: das Leben ist bei Späth kein ruhiger langer Fluss, es ist ein unbändiges Wildwasser, dass sich immer wieder neue Wege sucht, wieder zusammenfließt, neue Ufer erreicht, eine Pause einlegt, um vielleicht doch einmal das große Meer zu erreichen. Aber bis dahin ist noch viel Zeit. Zeit, die der Aktionist Späth unermüdlich mit neuen Projekten ausfüllt. Dabei liest sich der erste Teil der Biografie des 1951 geborenen Künstlers recht geradlinig und gewöhnlich. Abitur am Donaueschinger Fürstenberggymnasium, mit einer Schreinerlehre wird die Zeit bis zum Beginn des Medizinstudiums überbrückt. Nach dem Studium ist Späth als Assistenzarzt in seiner Heimatstadt tätig. 1984 kommt die Zäsur, der angehende Arzt bricht mit den bürgerlichen Konventionen und wendet sich als „Spätberufener“ den Schönen Künsten zu. Wenn schon Ausstieg, dann gleich im passenden Umfeld: Seit 1984 nun lebt Franz Späth in der Kunstmetropole Paris, sein Atelier befindet sich im Vorort Creteil. Über einen Zeitraum von elf Jahren war er Assistent beim venezuelanischen Künstlers Carlos Cruz-Diez, einem bedeutenden Vertreter der farbkinetischen Kunst. Parallel dazu widmet sich Späth seinen eigenen Arbeiten. Die Schreinerausbildung, die Kurse in den verschiedensten künstlerischen Techniken, die Späth schon während seines Medizinstudiums belegte und in seiner Wahlheimat perfektionierte, die wichtigen Impulse bei Cruz-Diez, bilden das praktische Fundament. Die Formensprache, die Farbgebung seiner Arbeiten jedoch sind an keiner Akademie, in keinem anderen Atelier, so gut das Lehrer-Schüler-Verhältnis bei Cruz-Diez auch war, lernbar. Sie sind vielmehr Ausdruck einer tief verinnerlichten Lebenserfahrung, die, wie könnte es anders sein, von Gegensätzlichkeiten geprägt ist. Dualismen bestimmen von Beginn an das Werk des Künstlers, sie bringen somit eine feste, berechenbare Konstante in die wechselvolle Biografie. Die Farbpalette ist äußerst reduziert auf Blau und Rot: Kalt und warm, weiblich und männlich, emotional und rational werden beispielsweise mit diesem Gegensatzpaar symbolisiert. In seiner Malerei muss Franz Späth anders als bei seinen weltweit realisierten Skulpturen voll und ganz auf die subtile Wirkung der gegensätzlichen Farben vertrauen. Trotz der Einschränkung, die zweidimensionalen Arbeiten besitzen eine überaus starke Ausstrahlung. Dabei geht der „Maler“ recht unorthodox ans Werk. Schicht für Schicht wird mit dem Schleifpapier zuvor aufgebrachte Farbe von den Holztafeln abgetragen bis sich das gewünschte Resultat einstellt. Der Künstler betätigt sich in seinen Schleifbildern als Spurensucher auf unbekanntem Terrain. Er legt frei, um im Verborgenen neues zu entdecken oder alte Wurzeln wieder zu finden. Es stellen sich schmerzliche wie erfreuliche Assoziationen ein, das liegt in der Natur der Sache. Die so angewandte Malerei liefert quasi als Nebenprodukt ein weiteres Gegensatzpaar. Die Schleifpapiere werden gleichsam als Negativformen zu amorphen vielseitig deutbaren Bildern. Bei den Skulpturen jedoch wird der Zufälligkeit keine Chance eingeräumt. Perfekt geplant werden die Stahlelemente in wochenlanger Arbeit geformt, zusammengeschweißt und anschließend im bekannten Kolorit lackiert. In Costa Rica, in Mexico, in Kanada, in Luxemburg, in Frankreich, in Portugal und in den Vereinigten Arabischen Emiraten stehen die blau-roten Gebilde. Bräunlingen ist der Premieren-Standort auf deutschem Boden. Die Großskulptur an der Umgehungsstraße ist mit ihren stattlichen sechs Metern Höhe zudem eine der größten Skulpturen, die Späth verwirklicht hat. Wie alle Arbeiten von Franz Späth will auch diese Skulptur sinnlich aufzeigen, wie Gegensätze sich harmonisch miteinander verbinden können: Nicht in gegenseitiger Auflösung oder Vermischung sondern in friedlicher Symbiose. Kontraste wie eckig und rund, außen und innen wachsen so zu einem kreativen Miteinander. Die Skulptur ist statisch stabil, verändert aber auf Grund ihrer drehbaren Lagerung ihre Position. Die strengen geometrischen Formen orientieren sich somit nach der Natur, den Jahreszeiten und Himmelsrichtungen. Dass sich eine 6000 Einwohner zählende Gemeinde eine Arbeit in diesen aufwändigen Dimensionen leisten kann, verblüfft. Ohne das heutzutage übliche Sponsoring wäre das nicht möglich gewesen. Die finanzielle und sachlichen Leistungen verschiedenster Firmen und Institutionen der Region sind aber nur eine Seite der Medaille . Die andere Seite verblüfft noch mehr: das Werk Dionysos ist ein Geschenk des Künstlers an seine Heimatstadt, verwirklicht jedoch wurde sie getreu dem künstlerischen Plan in ehrenamtlicher Arbeit von Norbert Ahrens, Bernhard Hauser, Erich Winkelmann und Uli Zandona. Soviel kulturelles Engagement und Solidarität hat auch den weitgereisten Künstler und Kunstheoretiker Franz Späth, der derzeit als Doktorand an der Universität Paris in Kunst und Ästhetik beschäftigt ist, überzeugt. Trotz seiner vielen Verpflichtungen plant er schon 2002 ein internationales Bildhauersymposium mit Teilnehmern aus allen Erdteilen in Bräunlingen zu veranstalten. Die positiven Erfahrungen aus dem Dionysos-Projekt könnten aus der Vision eine dauerhafte kulturelle Einrichtung für die Bregstadt werden lassen. Späth will freilich nicht selbst als Teilnehmer auftreten. Eigentlich schade: Aber als Organisationstalent und Geldbeschaffer hat er auch so genügend zu tun. Als Repräsentant für Europa der Bewegung „Skulpturensymposium“ hat er schon in verschiedenen Ländern mitgewirkt und bringt seine besten Verbindungen in das Vorhaben mit ein. Verträgt eine Kleinstadt wie Bräunlingen überhaupt soviel zeitgenössische Kunst? Ein zuviel kann es eigentlich nie geben, vorausgesetzt das Werk wird überhaupt wahrgenommen. Dazu schreibt Franz Späth 1988 anlässlich der Realisation seiner Skulptur in Costa Rica: „Wenn meine Arbeit - ohne jegliche Vorerklärung - eine innere Bewegung auslösen kann, sei es ein Staunen, eine Zuneigung oder auch eine Beunruhigung oder gar eine intensive Ablehnung, dann kann ich mit dem Werk zufrieden sein. Denn diese Emotionen können der Anfang eines Austausches, von Kommunikation sein“. Der Anfang ist mit dem Dionysos gemacht, auf weitere fruchtbare, künstlerische Kommunikationsauslöser darf man nun in Bräunlingen gespannt sein.
Stefan Simon
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Interview mit Franz Späth
Der aus Bräunlingen stammende und seit 1984 in Paris lebende Künstler Franz Späth stellt derzeit beim Schwenninger Objekteinrichter Till seine Arbeiten aus. In der vom Kunstverein Trossingen kuratierten Ausstellung ist der „bekannte“ Späth aber auch ganz neue Tendenzen des Künstlers zu entdecken.
Herr Späth, ich beobachte nun seit Jahren Ihr Werk und habe Sie als einen konsequenten Künstler kennen gelernt, der sich einer abstrakten Formensprache und einer reduzierten Farbpalette (rot/blau) bedient. Warum werden Sie nun figurativ und erweitern Ihr Farb- und Formspektrum?
Das „Warum“ ist nur schwierig zu beantworten. Im Schaffensprozess tauchen vor dem geistigen Auge Bilder auf, die ihre Verwirklichung verlangen. Und bei der Arbeit an den Bildern für diese Ausstellung kamen die figurativen fast zwangsweise auf die Bildfläche. Nicht nur die „Paare“ sondern auch die „Wellen“ sind Formen, die ich mir bisher nicht erlaubt hätte. Auch in der Farbpalette sind nun vermehrt andere, kaum verwendete Farben an die Oberfläche gedrungen, wie Schwarz, Weiß, Gelb, Grün, Violett.
Diese Entwicklung haben Sie „konfliktfrei“ überstanden?
Natürlich erlebte ich mich in einer gewissen Konfliktsituation, doch sehe ich das Akzeptieren dieses Hochkommens als eine Entwicklung, als eine Notwendigkeit, als Zeichen einer erweiterten künstlerischen Freiheit. Nicht nur haben sich die Form- und Farbpalette erweitert, sondern viele Bilder sind auch in sich komplexer geworden. Rundungen in den Schleifbildern erscheinen häufiger auch in plastischer Ausformung. Bei anderen Experimenten, den „Destillationen“ wird das Thema Komplementarität auf eine ganz andere Weise aufgezeigt als in den Diptychen. Auch in den Schleifzeichnungen haben sich komplexere Strukturen entwickelt, weil ich eine größere Experimentierfreiheit wagen konnte. Das vorhin gestellte „Warum?“ ist vielleicht am ehesten als Resultat einer Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen.
Dr. Ferdinand Messner, Vorsitzender des Kunstvereins Trossingen, hat in seiner Einführung ihr Werk mit „absurd“, im Sinne von sinnwidrig, bezeichnet. Wie kommt Messner auf diese Bewertung und können Sie seine Meinung teilen?
Der Begriff des Absurden ist ein mir innerlich recht vertrauter Zustand. Da trage ich zuerst Farbschicht über Farbschicht bis zum finalen Grau, und dann kratze ich das wieder ab. Ich schaffe mir meinen eigenen Geheimnisse des Innern, um sie nachher angeblich wieder aufzudecken. Schon etwas absurd oder nicht? Absurd ja, aber nicht sinnlos, wie das Wörterbuch es so einfach hin erklären will. Schon bei der Lektüre von Camus habe ich mich in seinem Begriff des Absurden wiedererkannt, in einer Lebenserfahrung, die ihren Sinn in sich selbst finden muss, die sich nicht mehr auf Glaubenslehren oder Regeln der Eltern stützen kann. Insofern folge ich den Ausführungen von Herrn Messner, wenn er meint, der Betrachter moderner Kunst sei aufgerufen, sich „die Frage nach dem Sinn des Lebens selbst zu beantworten“. Nicht seiner Meinung bin ich jedoch, wenn er fortfährt „...an ihr zu verzweifeln oder sie zu verdrängen“. Ich erlebe das Leben und oft auch mein Arbeiten als absurd, aber nicht als sinnlos, nicht als sinnvergessen und nicht als sinnwidrig. Die Aufforderung an mich selbst und an den Betrachter lautet vielmehr: „Suche selbst den Sinn, immer wieder aufs Neue, immer wieder unter anderen Gegebenheiten, konfrontiere dich immer wieder mit dem Unbequemen der Suche und entwickle Dich daran weiter, denn das ist der Sinn.“. Nicht mich oder den Betrachter an den vielleicht immer unlösbaren Fragen oder Konflikten verzweifeln zu lassen, sondern ihnen standhalten können, an ihnen zu wachsen, sich weiterzuentwickeln zu vollerem Menschsein, zur größtmöglichen Kreativität – das möchte ich vermitteln. Vor Ihrem Beruf als Künstler waren Sie Mediziner: Welche Schlüsse lässt Ihr Schaffen auf diese Erfahrung zu?
Vielleicht sind manche Antworten auf diese Frage schon gegeben. Mit jenem Teil von Messner`s Rede kann ich mich gut identifizieren, wenn er eben die vielen neueren Bildentwicklungen auf eine mögliche Persönlichkeitsentwicklung bezieht, und Persönlichkeitsentwicklung ist ein im weiteren Sinne zu verstehender Heilungsprozess. Persönlichkeitsentwicklung heißt ja nicht sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln, in traditionellen Sinne, also das äußere Bild zu formen, dass, was die Mitmenschen beeindrucken könnte, wenn sie dann sagen „der oder die ist eine Persönlichkeit“. Mir sind die inneren Entwicklungen wichtig. Die Integration der Lebensspannungen, nicht der Harmonierung oder Abflachung. Wirkliche Heilung beginnt nicht mit der Einnahme eines Medikamentes, sondern bei der Frage nach den inneren Zusammenhängen einer Krankheit mit mir, meinem Leben, meiner Umwelt. Dann kann der Wunsch nach Veränderungen aufkommen. Im Normalfall wünscht der Patient, den Zustand der Krankheit schnellstmöglich durch eine von Außen verabreichte Aktion oder verordnete Medikamentation in den Zustand der Gesundheit zu bringen. Er kann aber auch weitergehen und sich die Frage nach dem „Warum“ stellen. Sich des Patientseins- Leidensseins bewusst werden , die tieferen Gründe suchen, sich trauen, seine inneren und äußeren Konflikte, Ängste, Wünsche zu entdecken, diese erst einmal als solche anzusehen und dann nach Wegen ihrer Integration zu suchen.
Ein Vorgang, der sicherlich nicht einfach zu bewältigen ist?
Stimmt genau. Moderne Kunst ist auch selten einfach. Die Sinnsuche und die Auseinandersetzung lohnt sich jedoch, denn dieser Weg wird zu größerer Freiheit, also größerer Kreativität führen und zu einem größeren Gesundheitspotential. Sicher ist mein Wechsel nach der Medizin zur Kunst von solchen Motiven beeinflusst. Meine eigene Freiheit, Kreativität, „Heilung“ oder „Heil“ immer mehr zu finden, aber auch meinen Mitmenschen die Möglichkeit zu bieten und aufzuzeigen, dass das oft so absurd erscheinende Leben vielleicht dennoch lebenswert ist, wenn es als dauernder Entwicklungsweg angesehen wird. Bei Sloterdijk fand ich vor kurzem ein wundervolles Zitat: „Von jetzt an wird jede Heilkunst eine Kunst sein und jede Kunst Heilkunst“.
Das Interview mit Franz Späth führte Stefan Simon
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